Episodenstruktur
des klassischen Ritterromans
Es bietet
sich hierbei an, als Beispiel für einen
klassischen Ritterroman den von Don Quijote selbst so oft zitierten
„Amadís de
Gaula“ zu verwenden. Eine typische Episode, also ein Einzelabenteuer,
ist hier
in drei Schritte unterteilt. Zunächst wird eine Ausgangssituation,
éventualité,
benötigt, die für den Ritter die Möglichkeit einer
Heldentat bereitstellt, dann
kommt es in der Regel zur eigentlichen Handlung durch den Ritter, passage
à
l´acte, und schließlich zum Erfolg bzw. Sieg des
Helden, dem achèvement,
das bewirkt, dass sich das Ergebnis des Abenteuers in entscheidender
Weise von
der Ausgangssituation unterscheidet .Dabei dient die Bewältigung
solcher
Abenteuer zum Erwerb von Ruhm und zur Bestätigung der
höfischen Identität des
Ritters. Episodenstruktur
bei „Don Quijote“
Im „Don
Quijote“ wird diese Episodenstruktur zwar
nachgeahmt, allerdings dient sie hier einem gegenteiligen Ziel,
nämlich nicht dem
Erwerb von Ehre und Ruhm, sondern gerade dem Nachweis des ewigen
Scheiterns Don
Quijotes, wobei es auch innerhalb des „Don Quijote“ große
Unterschiede bei der
Strukturierung der Episoden gibt. Eine
Besonderheit dieses Abenteuers, die
charakteristisch für den Großteil von Don Quijotes
Erlebnissen ist, ist die
Perspektiven-Doppelung, wobei die Perspektive des Protagonisten mit der
des
Erzählers kontrastiert wird. Dieses Kapitel stellt aus auktorialer
Sicht kein
tatsächliches Abenteuer dar. Ausgangssituation
ist das Treffen auf
Windmühlen, das eigentlich weder ritterliche Heldentaten erfordert
noch
ermöglicht. Da Don Quijote jedoch in seinem Wahn davon
überzeugt ist, „treinta,
o pocos más, desaforados gigantes“ (I, 8: 145)
gegenüberzustehen, lässt er sich
nicht davon abhalten, zur Tat zu schreiten und diese Riesen besiegen zu
wollen.
So kommt es also auch bei fehlender éventualité
zu einem passage à
l´acte, wobei der stattfindende „Kampf“ logischerweise zu
keinem Erfolg
führen kann. Aus der Perspektive des Erzählers unterscheidet
sich das Ergebnis
der Handlungssequenz also nicht entscheidend von der Ausgangssituation
und der
Held ist kläglich gescheitert. Aus Sicht des
Don Quijote verläuft das
Windmühlenabenteuer allerdings wie im klassischen Ritterroman. Die
Ausgangssituation stellt für ihn, wie bereits erwähnt, das
Zusammentreffen mit
zahlreichen Riesen dar, die er zu besiegen gedenkt, um damit eine gute
Tat zu
vollbringen. (...) Als ihm sein
Scheitern hingewiesen wird, schiebt er diesen Misserfolg auf Zauberei,
durch
die die Riesen verwandelt worden seien, um seine Heldentat zu vereiteln
(„…aquel sabio Frestón […] ha vuelto estos gigantes en molinos,
por quitarme la
gloria de su vencimiento“ I, 8: 146). Diese Erklärung
ermöglicht es Don
Quijote, sein Gesicht zu wahren, da er ohne Eingreifen des Zauberers
zweifelsohne den Sieg errungen hätte. Im Gegensatz zur auktorialen
Perspektive
schließt das Windmühlenabenteuer aus figuraler Sicht des Don
Quijote
erfolgreich mit einem achèvement ab. Als ihm dies
weder durch flehen („comenzó a llorar
con la
mayor ternura del mundo“; I, 20: 246) noch durch weise Ratschläge
(„no es bien
tentar a Dios acometiendo tan desaforado hecho“ I, 20: 247) gelingt,
greift er
schließlich zu einer List, durch die er seinen Herren zumindest
zwingt, die ihn
erwartende Heldentat auf den nächsten Morgen zu verschieben. So wird der
passage à l´acte
zunächst durch Sancho
hinausgezögert, schließlich wird er jedoch vollkommen
überflüssig, als sich am
nächsten Morgen herausstellt, dass das
furchteinflößende Geräusch von „seis
mazos de batán“ (I, 20: 254), also sechs
Walkmühlen-Stampfen verursacht wird.
Durch diese Erkenntnis wird die vermeintliche éventualité
mit einem
Schlag zunichte gemacht und es gibt keinen Anlass mehr zu einer
Heldentat. Auch
in diesem Abenteuer bleibt also das achèvement aus,
allerdings sowohl aus
auktorialer als auch aus figuraler Sicht. |