Wie Siegfried nach Worms kam

 (Nibelungenlied, 3. Aventiure, um 1200)



Den Herrn heschwerte selten / irgendein Herzeleid.

Er hörte Kunde sagen / wie eine schöne Maid

Bei den Burgunden wäre / nach Wünschen wohlgetan,

Von der er bald viel Freuden / und auch viel Leides gewann.

Von ihrer hohen Schöne / vernahm man weit und breit,

Und auch ihr Hochgemüte / ward zur selben Zeit

Bei den Jungfrauen / den Helden oft bekannt:

Das ladete der Gäste / viel in König Gunthers Land.

So viel um ihre Minne / man Werbende sah,

Kriemhild in ihrem Sinne / sprach dazu nicht ja,

Daß sie einen wollte / zum geliebten Mann:

Er war ihr noch gar fremde / dem sie bald ward untertan.

Dann sann auf hohe Minne / Sieglindens Kind:

All der andern Werben / war wider ihn ein Wind.

Er mochte wohl verdienen / ein Weib so auserwählt:

Bald ward die edle Kriemhild / dem kühnen Siegfried vermählt.

Ihm rieten seine Freunde / und die in seinem Lehn,

Hab' er stete Minne / sich zum Ziel ersehn,

So soll' er werben, daß er sich / der Wahl nicht dürfe schämen.

Da sprach der edle Siegfried • "So will ich Kriemhilden nehmen,

Die schöne Königstochter / von Burgundenland,

Um ihre große Schöne / Das ist mir wohl bekannt,

Kein Kaiser sei so mächtig / hätt' er zu frein im Sinn,

Dem nicht zum Minnen ziemte / diese reiche Königin."